Praxistransfer: Selbstorganisation

„Selbstorganisation“ gewinnt in Veränderungsprozessen von Organisationen und Verbänden der sozialen Arbeit eine immer größere Bedeutung.

Was bedeutet die Begrifflichkeit in der Praxis? Im ESF-Plus-Programm rückenwind³ entwickeln und erproben Unternehmen der Sozialwirtschaft Modelle und Methoden des agilen Arbeitens und der Selbstorganisation. Als „Selbstorganisation“ wird dabei eine Organisationsform bezeichnet, bei der die Führungsaufgaben ins Team integriert werden. Vision ist: Mitarbeitende leiten sich selbst, strukturieren ihren Arbeitsalltag und werden ermutigt, Entscheidungen selbst zu treffen und danach zu handeln.

Die vielen “Gewänder” selbstorganisierten Arbeitens

Ansätze der Selbstorganisation kommen in vielen Gewändern daher: agile Methoden, Scrum, KANBAN, Soziokratie, Management 3.0 etc. Sie alle fördern ein neues kulturelles Selbstverständnis der (Zusammen-)Arbeit in der betreffenden Organisation oder dem Unternehmen.

Wie das gelingen kann, stellten Ende 2024 drei Förderträger im Online-Austausch der rückenwind³-Projekte vor. 

Selbstorganisation in der rückenwind³-Praxis

agilWAS? – weiter mit rückenwind³ (bildungsmarkt e.V.) fokussiert auf Ansprache und Motivierung von Mitarbeitenden sowie die Entwicklung praxisnaher Tools innerhalb agiler Prozesse. Judith Merhout und Cornelia Schmidt leiten das Projekt. Ihre Erfahrung zeigt, dass es vor allem auf Nutzer:innen-zentrierte Kommunikation ankommt. „Man muss nicht jedem Schritt das Motto „Agilität“ geben. Viele Kolleg:innen schreckt das ab. Das Vorgehen sollte in erster Linie zum Arbeitskontext passen“, so Schmidt. Selbstorganisiertes Lernen setze voraus, die Verteilung von Aufgaben im Team regelmäßig zu betrachten, damit bei dieser Arbeitsform das Engagement aller Mitarbeiter:innen genutzt werden kann, betont Merhout. 

Ihr Praxistipp: Einrichtung eines „Teamkontos“. Dies besteht aus zwei Spalten „Einzahlen I Abheben“. Jede:r Mitarbeiter:in kann hier dokumentieren, was er/ sie ins Team hineingibt und wovon er/ sie profitiert. Gemeinsam kann der „Kontostand“ dann reflektiert werden. 

Zukunftsorientierte Soziale Arbeit  (interkular gGmbH) legt einen Schwerpunkt auf die Dezentralisierung von Führungsstrukturen. Der Ansatz basiert auf einer zirkulären, selbstorganisierten Teamstruktur, in der Entscheidungen in den Teams getroffen werden, wo sie auch umgesetzt werden müssen. - Unterstützt durch eine „Servicestruktur“, also Finanzen, GF, Personal oder IT. Dafür reflektiert das Unternehmen stetig die Prozesse und Regeln, auf denen die Zusammenarbeit fußt. „Das braucht immer viel mehr Zeit, als gedacht“, betont Simone Bräuchle, Projektverantwortliche bei interkular und ergänzt: „Wir haben uns in diesem Jahr sehr viel Raum genommen um gemeinsam Strukturen und Prozesse zu bauen“. 

Ihr Praxistipp: Regelmäßige Supervision und viel, viel Kommunikation. – „Nur, wenn alle die gleichen Voraussetzungen im Wissen haben, können Entscheidungen gemeinsam getroffen werden.“ 

Upgrade – Fit für die Zukunft!(Jugendwerkstatt Felsberg e.V.): Der Träger entwickelt seine Selbstorganisation stetig weiter, um ein möglichst hohes Maß an Arbeitszufriedenheit zu erreichen. Höchstes Entscheidungsgremium ist die Mitarbeitendenversammlung, die einzelnen Arbeitsbereiche arbeiten weitgehend autonom, die Geschäftsführung (GF) arbeitet ehrenamtlich. Ein sechsköpfiges „Evolutions-Team“ unterstützt die GF in Kommunikations- und Entscheidungsprozessen: agil, rollenbasiert und begleitet durch eine externe Beraterin. Michael Wilhelm, Geschäftsführer: „Wenn alle an wichtigen Entscheidungen beteiligt sind, braucht es transparente Prozesse, viel Information und ein gemeinsames Verständnis von Kommunikation“. 

Sein Praxistipp: Neue Abstimmungsformate bei denen im Konsent-Verfahren geprüft wird, ob ein Vorschlag tatsächlich abgelehnt wird oder Kompromisspotenzial hat. 

Praxiserfahrung mit Transfercharakter

Weitere Praxisbeispiele aus der rückenwind³-Praxis stehen auf der Programmwebsite zur Verfügung. Unter dem Reiter Projekte sind alle geförderten Modellvorhaben mit Kurzsteckbriefen vorgestellt. Die Projektsteckbriefe können nach Verbänden und/ oder nach den fünf Handlungsfeldern des ESF Plus-Programms gefiltert werden. Eine Kartenansicht verdeutlicht die Standorte der Projekte innerhalb Deutschlands. Aktuell fördert das ESF Plus-Programm “rückenwind³ für Vielfalt, Wandel und Zukunftsfähigkeit in der Sozialwirtschaft” fast 150 Projektideen zur Fachkräftesicherung in sozialen Arbeitsfeldern. 

rückenwind³ wird umgesetzt in enger Partnerschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege, vertreten durch die BAGFW, und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS). Über 75 Mio. Euro aus dem Europäischen Sozialfonds Plus stehen hierfür zur Verfügung.